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Hinter den Kulissen der Weltpolitik: 25 Jahre diplomatischer Beziehungen aus dem Blickwinkel von jemand, der allen ukrainischen Präsidenten und mehreren deutschen Bundeskanzlern zur Seite stand
Weltpolitik auf großer Bühne? Nicht ohne die vielen, vielen Helfer hinter den Kulissen und manchmal auch davor…25 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine bedeuten auch das 25-jährige Dienstjubiläum unseres Dolmetschers, Herrn Wolodymyr Schelest. Er war von Anfang an dabei, hat im Laufe der Jahre unter anderem für Kohl, Schröder und Merkel gedolmetscht. In der langen Zeit bei uns hat er nicht nur viel übersetzt, er hat dabei auch viel erlebt. Wir wollen das doppelte 25-jährige Jubiläum nutzen und einmal nicht die große Politik, sondern einen der vielen Helfer im Hintergrund zu Wort kommen lassen: Herr Schelest erzählt seine schönsten Geschichten aus 25 Jahren deutsch-ukrainischer Beziehungen. Wechselt mit uns die Perspektive und freut Euch auf lustige und lehrreiche Anekdoten aus 25 Jahren im Dienst der deutsch-ukrainischen Beziehungen!
Zur Person: Wolodymyr Schelest
Geboren ca. 150 km nordöstlich von Kiew in Nishyn, kam Herr Schelest schon früh mit Deutsch in Berührung: Seit der fünften Klasse lernte er Deutsch in der Schule, begeisterte sich für Heine und Rilke und übersetzte deren Texte in der achten Klasse erstmals ins Ukrainische. Ein Studium der Germanistik und des Dolmetschens in Kiew und Leipzig folgten. Infolge arbeitete Herr Schelest in einem Verlag in Kiew und verlegte vor allem deutschsprachige Bücher. Als nach der Unabhängigkeit der Ukraine Dolmetscher händeringend gesucht wurden, traf Herr Schelest auf den damaligen deutschen Generalkonsul in der Ukraine, Graf von Bassewitz. Und seitdem arbeitet Herr Schelest für die Deutsche Botschaft in Kiew.
Hinter den Kulissen ist vor den Kulissen: Wie Herr Schelest viel mehr Berühmtheit erlangte, als ihm eigentlich lieb ist

Im August 2014 trafen sich Präsident Poroschenko und Kanzlerin Merkel zu Gesprächen in Kiew. Da beide Englisch gut beherrschen, verständigten sie sich über das Wesentliche direkt. Als es an Detailfragen ging, war Herr Schelest zum Dolmetschen zur Stelle. Und die Stelle ist normalerweise immer links vom „Chef“. Denn, „ich will ja nicht die rechte Hand der Bundeskanzlerin sein“, so Schelest. Und um ehrlich zu sein, bleibt Herr Schelest am liebsten unsichtbar im Hintergrund, denn seine einzige Aufgabe ist es, die unmissverständliche Kommunikation zwischen den Politikern zu ermöglichen. In manchen Momenten kann sich aber auch Herr Schelest weder im Hintergrund halten noch unsichtbar machen. Und so entstand dieses eindrucksvolle Bild - vor und hinter den Kulissen der Weltpolitik. Es hat übrigens den 2. Platz der dpa-Bilder des Jahres 2014 in der Kategorie Politik gewonnen.
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Jeder ist seines Glückes Schmied und Scherben bringen Glück, so sagt man. Wenn das Glas nicht zerspringt, muss man eben nachhelfen. Eine Geschichte von der Eröffnung des heutigen Botschaftsgebäudes in Kiew

Seit 1992 Jahren ist Deutschland mit einer Botschaft in der Ukraine vertreten. Anfang der 2000er Jahre musste eine neueKanzlei, ein neues Hauptgebäude der Botschaft, her. Der Bau wurde geplant, Architekten beauftragt und im Dezember 2001 wurde Richtfest gefeiert. Von deutscher Seite war der Bundeskanzler Gerhard Schröder angereist, von ukrainischer Seite nahmen Präsident Leonid Kutschma und der Kiewer Bürgermeister Olexander Omeltschenko teil.
Ein neues Botschaftsgebäude muss gebührend gefeiert werden, also wurde mit Horilka angestoßen. Nach landesüblichem Brauch werden die leeren Gläser nach dem Austrinken zerschlagen, denn Scherben bringen Glück. Als Schröder sein Glas auf den Boden schmetterte, blieb das Glas aber ganz… Bürgermeister Omeltschenko hob Schröders Glas auf und schleuderte es selbst zu Boden – das Glas blieb unversehrt! Aber das wollte sich der Bürgermeister von Kiew von einem kleinen Gläschen wirklich nicht bieten lassen und griff zu einem in der Nähe liegenden Vorschlaghammer. Die Scherben klirrten, das Glas war hin und dem Brauch genüge getan. Prost!
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Anfang der 1990er Jahre waren weiße Tennissocken heiß begehrt in Kiew. Genauso wie Ukrainisch-Dolmetscher beim Besuch von Bundeskanzler Kohl 1993 in Kiew. Wie beides zusammenhängt…? Lest selbst!

In Abwandlung eines berühmten Sprichwortes könnte man sagen „Das Protokoll ist die Zärtlichkeit zwischen den Staaten“. Jedenfalls spielen protokollarische Fragen eine wichtige Rolle: Abläufe, Sitz- und manchmal auch Kleiderordnung sind genau abgestimmt. Es gibt schließlich genügend schwierige Themen zu verhandeln, besser man streitet sich nicht noch darüber, wer wo sitzen darf, nicht wahr? Bei einem Fototermin ist alles klar angeordnet: Die Staatsoberhäupter im Zentrum, die Berater und Dolmetscher dahinter und an den Seiten. Selbstverständlich stecken alle Männer in Anzug, Krawatte und Lederschuhen mit dunklen Socken. Soweit die Theorie. Aber manchmal ist die unvorhersehbare Realität eben stärker als das strengste Protokoll!
Herr Schelest sollte 1993 erstmalig für Bundeskanzler Kohl dolmetschen. Ein sehr spontaner Auftrag: Das Auswärtige Amt hatte nur Russisch-Dolmetscher vorgesehen, Präsident Krawtschuk bestand auf Ukrainisch als einzige Amtssprache der unabhängigen Ukraine. Schnell musste Herr Schelest her, der sich in aller Eile fertigmachte und bei den Gesprächen neben Kanzler Kohl Platz nahm. Die Gespräche wurden erfolgreich geführt, mit tadelloser deutsch-ukrainischer Dolmetschung, selbstverständlich. Erst als Herr Schelest sehr viel später die Bilder von dem Treffen sah, wurde ihm klar: In aller Hektik hatte er vergessen, die strahlend weißen Socken gegen schwarze auszutauschen… sieht aber doch eigentlich ganz gut aus, oder?!
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„Halts Maul!“ Von den Regeln für Dolmetscher. Und für die, die gedolmetscht werden

Für Dolmetscher gibt es eine eindeutige Regel: Es wird so direkt wie möglich übersetzt, keine Interpretationen, keine Zusammenfassung. Soweit so gut. Im besten Fall hält sich aber auch der Sprechende an ein paar Regeln, damit es für die Dolmetscher nicht zu schwierig wird: Möglichst wenig Abkürzungen, keine Witze, die nur in einer Sprache funktionieren, und vor allem: regelmäßige Pausen.
Als Kanzler Kohl mit dem damaligen Verteidigungsminister Rühe 1993 bei einer Pressekonferenz in Kiew sprachen, hatte Rühe wohl vergessen, dass er ab und zu mal Pausen machen muss. Rühe redete und redete, bis Kanzler Kohl einschritt: „Halts Maul, das muss übersetzt werden!“ – herrschte Kohl in pfälzischer Direktheit seinen Verteidigungsminister an. Die deutsche Journalistendelegation brach in schallendes Gelächter aus, die ukrainischen Journalisten sahen Schelest fragend an. Stille im Raum. „Der Bundeskanzler hat gebeten, innezuhalten“, übersetzte Herr Schelest. Rühe grinste, die ukrainischen Journalisten grinsten und Herr Schelest konnte sich wieder einer direkteren Verdolmetschung des Gesagten zuwenden, jetzt wieder ganz in seinem Element als Dolmetscher - nicht als Diplomat.
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Zum Schluss zurück zum Anfang. Der allererste in Kiew akkreditierte und lebende Botschafter nach der Unabhängigkeit der Ukraine war Botschafter Graf von Bassewitz. Seitdem arbeitet Herr Schelest bei uns und hat maßgeblichen Anteil an der Verständigung zwischen Deutschland und der Ukraine

25 Jahre sind vergangen, eine lange Zeit. 25 Jahre, seitdem Herr Schelest selbst, die Leiter gehalten hat, auf der der erste deutsche Botschafter in der Ukraine, Graf von Bassewitz, stand, um eigenhändig das Schild „Botschaft der Bundesrepublik Deutschland“ an die Wand zu schrauben. Pioniergeist war tatsächlich vonnöten, denn Graf von Bassewitz war tatsächlich der erste akkreditierte und in Kiew lebende Botschafter überhaupt.