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Botschafterin Anka Feldhusen erinnert sich an die Ereignisse auf dem Maidan vor sechs Jahren:

20.02.2020 - Artikel
Майдан 2014 р. / Maidan 2014
Майдан 2014 р. / Maidan 2014© Daniela Bergelt

Gerade habe ich gemerkt, dass der 20.2. vor sechs Jahren auch ein Donnerstag war. Manchmal kommt es mir vor, als ob es gestern gewesen sei.

Damals waren wir in hektischer Erwartung unseres Außenministers, noch völlig benommen von den Bildern des blutigen Morgens auf dem Maidan. Fast hundert Menschen waren seit dem 18.2. getötet worden. Mein elfjähriger Sohn war seit dem Vortag bei Freunden außerhalb Kiew, die Deutsche Schule war geschlossen, genau wie das Tanzstudio, in dem ich auch in den hektischsten Stunden der vorangegangenen fast 100 Tage immer mal wieder Kraft tanken konnte.

Nach Vorgesprächen in der Botschaft fuhren Minister Steinmeier und seine Kollegen Fabius und Sikorski in die Präsidialverwaltung. Mein Botschafter begleitete sie, und für mich und die anderen Botschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter begannen lange Stunden des Wartens mit wenig Informationen aus den Verhandlungen mit Wiktor Janukowytsch. All das bei strahlendem Frühlingswetter, und dem regelmäßigen Wachwechsel der Maidan-Hundertschaften, die auch vor der Botschaft vorbeizogen. Das Warten zog sich bis zum nächsten Morgen hin. Minister Steinmeier konnte sich nur kurz im Hotel frisch machen, bevor es am Freitag weiter ging. Heftige Diskussionen mit dem Rat des Maidan, bevor dieser dem Verhandlungsergebnis zustimmte. Unsere Fahrer berichteten später, dass plötzlich die Busse mit den Sondereinheiten der Berkut abzogen und so der Weg bis vor die Präsidialverwaltung frei war. Wo die Minister am Vortag noch eine längere Strecke zu Fuß gehen mussten, konnten sie jetzt direkt in die Autos steigen, die sie zurück zum Flughafen brachten.

Abends saßen wir zusammen im Büro des Botschafters, meinem jetzigen Büro, und redeten und redeten. Trotz der vielen Toten waren wir auch irgendwie euphorisch, dass es nun politische Änderungen in der Ukraine geben würde. Niemand von uns ahnte zu dem Zeitpunkt, dass Wiktor Janukowytsch bereits auf der Flucht war.

Am nächsten Tag fuhr ich früh zur Werchowna Rada. Das Regierungsviertel sah aus wie nach einem Krieg. Verbrannte Autos, aufgerissene Straßen, Haufen von Pflastersteinen, die als Wurfgeschosse gedient hatten. Aber bereits jetzt waren die ersten Frauen dabei aufzuräumen. Oberhalb der lutherischen Kirche fuhr ein Lastwagen mit Maidan-Kämpfern an mir vorbei. Als sie mein Nummernschild sahen, winkten sie mir zu.

In der Rada wurde die Verfassung von 2004 wieder eingesetzt und Janukowytsch das Präsidentenamt aberkannt. Vom Fenster der Diplomatenloge aus wurde ich Zeugin, wie Swjatoslaw Wakartschuk eine aufgebrachte Menge davon überzeugte, Abgeordnete der Partei der Regionen nicht anzurühren und sie ins Parlament zu lassen.

Abends fand eine Totenwache auf dem Maidan statt. Ich hatte eigentlich Julia Tymoschenkos Rückkehr miterleben wollen, stattdessen stand ich in der trauernden Menge und konnte nicht aufhören zu weinen.

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